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Bars und Bageritz



von Hans-Werner Bott, www.bar-real.de
Es scheint nur einen Grund zu geben, eine Bar aufzusuchen und den besingen die Doors so: "Oh, tell me the way to the next whiskey bar, don´t ask me why, don´t ask me why….. Nimmt man diesen Grund, - also, es gibt eine Menge andere - so folgt, dass eine Bar als ein Ort des Unwirklichen beschrieben werden kann, der dieser Qualität wegen aufgesucht wird. Die Bar ist also der Ort, an dem man sich in einen Zwischenzustand begibt – in den Gesellschaftsraum einer öffentlichen Möglichkeitsform tritt – erleichternd und erfrischend sollte das sein – muss es aber nicht - klebrig, pappig, geht genau so. Ort des Unwirklichen: ich meine es als schwärmerische Definition – damit die Bar leichter als ein Übergangsobjekt zu sehen ist in einem Live Lebens Theater, in dem die Ideen der Boheme, von Dada, Hunger nach Wahnsinn, Odeon, Dome, Coupole neu inszeniert werden.

Aber langsam, was hat die Künstlerbar, nehmen wir einmal an, daß sich dieses Soziotop so ergeben hat, real gemacht:, wie konnte sie zum Wohnzimmer werden für Leute, die äußerst displaced aus den 50iger und 60igern hervorgingen? Wie kommt es, dass ein gewaltiger Sog, sich umkehrt und Schwärme von Adepten unterschiedlichster Provinienz auf die Plattform Künstlerbar weht?

Zum einen, banal: Die Deckelwirtschaft der Wirte garantierte zu jeder Zeit, dass Hunger und Durst gestillt wurden durch die Möglichkeit anzuschreiben. Dadurch hatten die Künstler, die Stars der täglichen Auftritte,die Gestalter zu jeder Zeit ihr Publikum.
Selbst der Martin Kippenberger ertrug diese Menge, auch die des Broadways------winkte einmal auf dem Weg dorthin dem Bageritz zu und rief hinüber zur anderen Straßenseite: "Die Ehrenstraße gehört jetzt dir!" Bageritz, mit einem Rest seiner frisch erschienenen Künstlerbuch-Kataloge unterm Arm, gerade von Walther König kommend, der natürlich nicht alle zum Verkauf nahm, steuerte rüber und legte ihm sein Buch am Tisch vor. "Das mußt du direkt mal hier aufschreiben!". Kippenberger schrieb, zeichnete und signierte -man blieb im Broadway beim Ramazotti zur Mittagszeit und schnupperte…. Das stundenlange Sitzen und Dröhnen im Tagescafe, da ließ sich was kondensieren, transformieren: die Begegnungen mit dem Pulk der Straße schienen durchaus etwas herzugeben. Solch Cafe mag schon Künstlerbar heißen, die Morgenausgabe sozusagen.

Abends kommen Auftritte, Musik, Lesungen, Gruppenbildungen dazu, Verabredungen von verfeindeten neidischen, herzlichen, zugeneigten kunstaffinen Schwärmen. Hoffentlich sind ein paar heute abend hier, die das besser wissen.
Natürlich konnte der Tag zur Nacht werden und es sind die betrunkenen Nachmittage mit zaubrischen Höhepunkten, die unvergesslich sind. In der Bar wird schon immer mit Legenden, Gerüchten gekocht, geklatscht, runter geputzt, verschworen, verschwiemelt – übrig bleibt das Naked Lunch als Szenenbild.

Die "Gaststätte", die Kneipe, die Künstlerbar wurde, bildete in Lauflage einen Stamm heraus, einen Stamm der Gestaltlosen, der die Bar hielt und der zum Publikum taugte für die Helden dieser Geschichte, die Künstler, die Publikumsmagneten. Die Künstlerbar war ein Ort der kleinen Bühne für die einen, Asyl der Heinmatlosen für die andern, der Ort, wo Glanz auf´s Aussenseitertum fiel. Ein Ort der Projektionen:
Ich zehre vom Star-Club, obwohl ich nie drin war : Starclub mit Hubert Fichte und Ian and the Zodiacs. Mit einem einsamen, fremden Jaecki und der Kneipe Grünspan im Mittelpunkt. Das war endlich der Sound der Beatniks im deutschen Bildungsuntergrund. Mit Günter Grass kam der schon auf, Jazz und Lyrik, Joki-Freund-Sextett. Der Sound, der dann von Rolf-Dieter Brinkmann aufgenommen und weitergetragen wurde.

Dann nachfolgend: neue Generation, neuer Verkaufsgedanke, alter Mythos. Bageritz hielt in seinem bereits erwähnten Künstlerbuchwälzer Brinkmann's These fest: "Kunst schreitet nicht fort, sie erweitert sich!"

Folgerichtig führt Bageritz 1985 an den Plakatwänden vor der Ruine des Starclubs eine Kunstaktion "Cologne-Prost-I-Tut-es" durch, angezogen eben vom Mythos, der Ausstrahlung dieses Clubs." Die Maler-Aktion währte Tag und Nacht, mit 300 Litern Bier aus Köln und "anschließendem Tanz im Chicago" wie auf seinem obligatorischen Plakat zu lesen war.

Die Bars der 70iger und 80iger:, in diesen Wohnzimmern ließ sich morgens mittags abends nachts leben, sie trugen das subkulturelle Leben, d.h.: es ließ sich dort prächtig auf das Eintreffen der Subkultur warten, .. 26 Dollars in my hand. Lou Reed.

Die Kraft eines Sogs trieb die Leute in die Bar, wie ein Wirbelwind, als eine Art Spirale, die sich von unten nach oben drehte oder umgekehrt, das wusste man nie so genau. ..displaced people fanden eine Lebensplattform oder stürzten von ihr ab ….displaced ..- das ist nicht unangebracht, - ja, correctness hin oder her- denn das Gewicht, daß die Leute dazu machte, war nicht ohne: die Heimatlosen flohen aus den Schweige - Wohnzimmern und vor den faschistischen Nachbeben in den Institutionen auf die Straße im Hunger nach Freiraum:

"Exil on Mainstreet" war angesagt: I am a Roadrunner hieß die Hymne: …..Untertitel: Hunger nach Wahnsinn. die Kinder der Nazi-Geiseln verwandelten sich in nicht reifende Puppen, verharrten dort oder durchstießen spät die narzisstische Endlosschleife. Im Kokon der Kneipe. Der Dada-Box. Die Bars blieben mit Erwachsenen und Unerwachsenen durchsetzt.

Manche waren typische Asylsuchende im legendären Roxy - glücklich im Roxy…
Rudolf Bonvie hat sie photographisch festgehalten, eingebunden als kleines Büchlein zur Erinnerung an die Künstlerhelden dieser Zeit: Manni Löhe und Theo Lambertin, C.O. Päffgen und Charly Banana, Jürgen Klauke und Michael Buthe, Astrid Klein und Bonvie himself und noch einige mehr...Argonauten als Live-Performance-Helden.

Städter und Provinzler mischen sich in der Bar. Aliens und Hiesige, Stars und Tölpel usw. Die Künstlerbar oder Künstlerkneipe besteht aus einem Teil wirklicher und zu einem andern Teil wirklich werdender Menschen, und zu einigen weiteren Teilen aus Geistern, Phantomen und Verworfenen: viele pappten bloß an der Wand, schlecht beleuchtet ohne selbst zu leuchten. In der Bar wimmelte es von Phantasmen. Viele ahnten die Vergangenheit, ihre eigene, bloß; mehr war nicht. Andere hatten goldenen Boden. Der Künstler Bageritz kannte seine Herkunft. Und erschuf sie noch dazu: Medienwirksam auf Tour unternahm er 1988 "Den Ausflug nach Bageritz mit Abstecher nach Baselitz." wozu ihn eigentlich die Suche nach deutsch-deutschen Wurzeln und dem Exotischen der DDR-Fama trieb. Das er mit der Entdeckung der Gaststätte KOID in Bageritz fand: Das Surreale in Gestalt eines Zettels mit Anweisungen fürs Knobeln im Koid an die Wand gebracht. Möglich machte das die Öffnung der Mauer. Die Legende lautet: die Suche nach Arbeitsmaterial und die Reflexion über Kunst und den Maler Georg Baselitz. Das New Yorker Kunstmagazin ARTFORUM beschreibt die "Instant-History-Paintings", die bei dieser Gelegenheit entstanden und auf der ART Cologne 1989 drei Tage nach der Grenzöffnung für Furore sorgten. Kippenberger kam vorbei, grinste und meinte "Durchbruch?"

Es ist interessant wie die Collagetechnik, die die hier ausgestellten Blätter und Re-collagen auszeichnet, sozusagen das wirkliche Leben, eben die Reise nach Bageritz und darüber hinaus, umsetzt: doppelte Böden, das Hinterste nach vorne bringen, bestimmte Gesetze für das Sichtbar-Machen wahren, da noch ein Fenster ins Unbekannte öffnen ….. Und umgekehrt wurde die Ehrenstrasse aus etwas Unbekanntem geholt, indem Bageritz ihren Welt-Sound aufnahm. Über einen Zeitraum von einem Jahr standen Mikrophone im Atelierfenster des Künstlers. Die Aufnahmen fügte er zum scheinbaren Tagesablauf von frühmorgens bis spätabends zusammen, heute als CD Edition , Titel "Grundgeräusche der Ehrenstrasse" erhältlich. - der Originalkneipensound vergegenwärtigt, was da in der Luft war, - das Kino war ja fast Teil des Cafe´s -eine Qualität kommt auf, eine Vorstellung davon. Ein Staunen, das der Bageritz da schon etwas haltbar machen wollte. War er früh wirklich? Im Unterschied zu den barflies.
Ja, selbst den barflies blieb der Sound im Ohr . Bekamen Wind davon..
Immerhin, die Künstlerbar, das Künstlercafe, entpuppt sich als der Ort, solche Erfahrungen zu machen. Angefangen mit den Überlegungen, welche Bar soll es heute sein, was treibt mich an, mich treibt doch was an, gerade das Kino treibt mit:
ah, es ist der inner Drang, aufgerafft, Initiative zu entwickeln, die richtigen Leute zu treffen , Kommunion mit dem Pulk zu üben, nicht allein Mit Abbie Hoffmann, Alchemie und Castanda, Joseph Beuys, Yves Klein, Paul Thek im stillen Kämmerlein und nicht wie einige andere in Keruacs "Tristessa" oder Burroughs "Yage Letters einziehen, sondern losziehen, losziehen bspw. Ins Roxy heut nacht!

Die Bar, der Ort, wo Dr. Walter Serner sitzt und all die anderen edlen Alkohol-Brüter, nicht um Rechtsanliegen zu besprechen, eher für zackige Entzugsmethoden und um durch letzte Lockerungen auf neue Poetiken zu kommen.

In der Gegenwelt surreal zu sein in der Subkultur war die Bar der Ort, - Teil des Strahlenkranzes sein, wie in der Monstranz hier auf dem Plakat nachgezeichnet, in dieser Messe aus Lebendigen und Toten!: surreal! Wie das Koid in Bageritz zu DDR – Zeiten und die Gaststätte Bageritz dort ab 1991. The Living and the Dead steht auf dem Bageritz Plakat. Was den Blick auf alte Zeiten angeht, sei an dieser Stelle der Rückblick von Christoph Y Schmidt , Jahrgang 1956 auf seine Kneipenjahre empfohlen" Der letzte Huelsenbeck" , gebunden bei Rowohlt. ! Eine harte Kur mit dem Cotard Syndrom und durch HSAM (Highly Superior Autobiographical Memory). Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung nicht uninteressant, denn diese Neuerscheinung sollte Kultcharakter gewinnen und dann dem Ralph Bageritz als Vorlage dienen, er hat da ja mit Michel Houellebecq seine Erfahrungen gemacht.

Bageritz Arbeitsmethode – sich an dem zu bedienen, was wirklich geworden ist und dem "Gefundenen" durch Zufall und Methode eine neue Wirklichkeit zuzuweisen, macht Entdeckerlust. Für mich ist es ein Vergnügen, Bageritz in die Doppelte Böden, die Neue Böden zu folgen. Für diese Konstruktionsverfahren - und damit die Bageritzsche Art der Kommunikation entstehen kann - braucht es zündende Ideen. So etwas wie der berühmte Yve Klein´sche Sprung in Blau. Wie ist es mit dem poetischen Blitz im geistigen Tun und Werden? Mit dem poetischen Blitz in der Kneipe? Als umtriebiger Flaneur sucht Bageritz spezielle Bar-Cafe´s auf, um seinem Handwerk nachzugehen. Aktuelle Journale, vor allem Lifestyle-, Kunst und Modemagizine, dienen ihm als Labormaterial, um Vorlagen zu finden, gesteuert durch den Zufall und den schnellen Blick auf Verwertbarkeit.

Bageritz sieht da einen Zusammenhang mit den Fallenbildern von Daniel Spoerri, bei dem er u.a. studierte. Einschnitte in die Bildvorlage, Herausklappen der Textinformation, ein Live-Gedicht im Bild, aus der Vorlage entstanden, teils mit mehr, teils mit weniger Respekt, immer aber mit Respekt vor der Arbeit, die verwurstet wird. Das Bageritz Plakat für diese Ausstellung hat seinen Blitz, das Foto eines Chow-Chow, das Bageritz auf einer Miami Art Fair 2017 schoß. Kommt der Einfluss des heiligen Kölns hier dazu, ein doppelter Boden, den der Lebensraum dem eigenen Schubladensystem einbaut? Dem entkommt man nicht, wenn man zu lange in dieser Stadt lebt. Irgendwann gehört es zur Eingemeindung dazu. Das macht, dass der Hund zur Mittelpunkt einer Monstranz wird und die Schriftzüge der hier teilnehmenden Künnstlernamen zu ihrem Strahlenkranz.

Es gab eine Dauerbesetzung für Kneipeninventar , dem einfach keine Zeit für reale Geistestaten blieb, die gingen von der Bar direkt in die Frühschicht ins Stahlwerk und dachten, sie machen eine Live-Aufführung eines Live-Gedichts, durchaus bewußt, daß der Held einer Kinogeschichte niedere Arbeiten braucht, um besser raus zu kommen und das so die Poesie ins Leben käme.. Kollege Theo Lambertin gelang eine gute Arbeit aus seinem Arbeitsalltag in der Kneipe. Im EWG entstand eine unvergessene Fotoarbeit von ihm selbst als eine in der Vitrine liegende Figur, als Inventar.

Ja, man konnte auf ein Mettbrötchen in der Vitrine deuten und das anschreiben lassen.

Die Bar verspricht großes Theater, das fängt bei den Wirten an, die Klasse versprechen: Die Wirte Clemens Böll im Chlodwig-Eck, Harry im Delirium, Horst Leischenich im EWG, Bernd Schmitz im Kurfürstenhof, Hatti im Hammersteins usw. Die alle waren einfach vielversprechend, Möglichkeitsspender.

Bars konnten Warteraum und Ereignisraum sein für die fantastischen Verschmelzungen, die sich ergeben würden etc, warten im elenden oder wunderbar aufgebrezelten Kneipeninterieur, man denke nur an das Gelb vom Podium und die edlen Säulchen beim Sing. Kapielski hasste das Chins, ich glaube, weil er da nix in die Tische ritzen konnte. Chris Newman und Al Hansen fanden ihr High Noon im Chins. Die bemalte Wand von Max Ernst, ( heute im Museum) verweist mit Nichts auf die Energiefelder hin, die vor ihr barsten. Dass die Bar Startbahn ist, Unruheherd, von dem Taten in der Luft liegen, wird sich von Fall zu Fall überraschend ereignen. Zwischen Dada-Schwärmen in Zürich und Berlin. Surrealisten-Clubs. Schriftsteller-Pulk im Coupole. Den Bühnen in den Bars von Köln. In den Künstlerbars trafen sich Schwärme mit Zusammenhalt und Gegenerschaft, ein- und ausgegrenzende Klicken. Die, die hier den Strahlenkranz um den Chow-Chow bilden, waren sicher nicht alle irgendwie zugehörig, ganz sicher gehörten sie aber zum Geflecht um Ralph Bageritz

Kramen Sie in Ihrem Gedächtnis: wenn es richtig gut war, war es mit ein bisschen Erinnerung an den Moment vor dem Black out : dann war es wie in Circes Zauberschüssel.


Köln, 25,09.2018 Hans-Werner Bott